Biebesheimer Synagogen


Biebesheimer Synagogen

Der Begriff Synagoge findet sich im Judentum seit der Antike in der Bedeutung als lokale Einzelgemeinde oder Gemeindeversammlung und bezeichnet auch den Versammlungsort dieser Gemeinde. Die Synagoge gilt als Zentrum im Leben jedes gläubigen Juden. Die Geschichte der Synagogen ist sehr alt und lässt sich zurückverfolgen bis in die Zeit des zweiten Tempels. Damals war sie ein Zielpunkt vor allem für Bauern der jeweiligen Region. Sie trafen sich dort und hörten den Gelehrten zu, die ihnen aus der Thora vorlasen.

Zur Zeit der Zerstörung des zweiten Tempels, im 70sten Jahr der Neuen Zeitrechnung, sollen etwa 394 oder 480 Synagogen in Jerusalem vorhanden gewesen sein. Die Anzahl der einst vorhandenen Synagogen und Beträume in den ehemaligen Gebieten Hessens um 1890 belief sich laut den aufgeführten Ortsverzeichnissen auf 492. Allein dieser in Zahlen ausgedrückte Vergleich lässt erahnen, wie bedeutungsvoll sich das jüdische Leben auf dem Land entwickelt hatte.

In Deutschland setzte der Synagogenbau in größerem Maßstab mit dem Beginn der Emanzipation ein. Die andauernde Unterdrückung der Juden in den vorausgegangenen Jahrhunderten hatte stets die öffentliche Darstellung in monumentalen Formen verhindert. Erst durch das Fortschreiten der Emanzipation bekamen die Juden die Möglichkeit, den Synagogenbau wie auch die damit verbundene Architektur zu ihrer Selbstdarstellung zu nutzen. Ein für Synagogen charakteristisches Gesicht hatte auch das Gebetshaus in Biebesheim. Zwar war der Bau an sich sehr schlicht, etwas, was für die jüdischen Landgemeinden aber auf Grund ihrer Finanzkraft gewöhnlich war. Trotzdem waren die Synagogen als solche gut zu erkennen. Sie passen sich auch in so starkem Maße dem lokalen Wohnhausstil an und heben sich dadurch so deutlich vom örtlichen Kirchenbau ab, dass hier sicher auch der Wunsch eine Rolle gespielt haben dürfte, sich von den christlichen Kirchen zu unterscheiden und nicht aufzufallen. Das Wissenswerte an Biebesheim ist, dass die jüdische Gemeinde nicht nur eine Synagoge, sondern gleich drei, allerdings zu verschiedenen Zeitabschnitten, nutzte.

Die „Neue“ Synagoge


Die Einweihung der neuen Dritten Synagoge erfolgte im Jahr 1867. „Kurz vor der Fertigstellung“ stellte die bürgerliche Gemeinde ein Darlehen von 1000 Gulden zur Verfügung. Zudem stellte die bürgerliche Gemeinde im Frühjahr 1866 ein Gesuch an das Großherzogliche Kreisamt Groß-Gerau mit der Bitte um Genehmigung zum Brennen von Backsteinen die für den Bau der Synagoge in der Bahnhofstraße 12 benötigt wurden. Dieses Gesuch wurde am 9. August 1866 genehmigt. Die Einweihung der Synagoge wurde in der Chronik der evangelischen Kirchengemeinde ausführlich gewürdigt: „Am 22. November1867 wurde die in der Odenwaldgasse[heutige Bahnhofstraße] erbaute Synagoge durch den Rabbiner Dr. Landsberger unter Anwohnung einer großen Einwohnerzahl von hier und vieler Auswärtiger Israeliten im Beisein desGroßherzoglichen Kirchrats Dr. Böckmann Groß-Gerau und des hiesigen Kirchenvorstands eingeweiht. Die Israeliten zogen in einem geschlossenen Zuge, voran der erwähnte Großherzogliche Kirchrat, der Ortsvorstand, der Rabbiner etc. etc. vom Hause des israelitischen Vorstehers Salomon Wachenheimer nach der Synagoge, worauf die Einweihung stattfand. Darauf fand ein Festessen bei Metzger Wirthwein statt, an dem sich viele Ortseinwohner betheiligten, am folgenden Tag ein sogenannter Ball von Seiten der Israeliten.“

Das neue Gotteshaus diente auch fortan der jüdischen Gemeinde für Gottesdienste und zum Unterricht, aber ebenso für Festlichkeiten verschiedenster Art.


Die Synagogenordnung von 1864.

Zur Straße hin, hatte die Synagoge drei hohe aus buntem Glas bestehende Rundbogenfenster. Wie auch der Synagogenraum erstreckten sich diese Fenster über zwei Stockwerke. Zwei eng beieinander angebrachte Fenster im Giebel, die wie die Fenster darunter noch oben hin abgerundet waren, stellten die Gesetzestafeln der Bibel des Ersten Testaments dar. Die Fassade war mit Ecklisenen geschmückt, deren Kapitelle den Stichbogenfries des Giebels trugen. Im Hof befand sich eine Eingangstür zu Flur und Treppenhaus. Der Raum im Anschluss an den Flur links war ursprünglich für die Mikwe vorgesehen, wurde aber als Schulstube genutzt. Die Mikwe befand sich in einem der hinteren Räume. Auf der rechten Seite des Flurs lag der Synagogensaal.
Die Synagoge hatte einen Mittelgang auf dessen beiden Seiten sich Bankreihen erstreckten die Platz für 60 Personen boten. An den Rückenlehnen der Bänke waren kleine Kästchen zur Unterbringung von Tallit und Gebetbuch angebracht. „Die Inneneinrichtung war ausnahmslos aus Massivholz. Die Stände (Bänke) in geschwungener Form mit hoher Rückenlehne und Armstützen, der Thora-Schrein und das Emporengeländer geschnitzt, in Schreinermaßarbeit gefertigt mit eingesetzten profilierten Füllungen. An der Ostwand des Raumes war eine Nische für den Thoraschrein eingelassen. Über dem Schrein befand sich ein rundes Fenster aus buntem Glas das die Nische erhellte und zusätzliches Licht spendete. Neben dem Thoraschrein stand vermutlich ein Menora Leuchter.
An der Längs- und Rückwand des Raumes war eine Empore angebracht die von vier Stützen getragen wurde. Zur Empore kam man über eine zweiarmige, halbgewendelte Treppe im Eingangsflur. Diese Treppe führte auch zur Lehrerwohnung die sich auf der gleichen Ebene befand und nur zu Wochenende hin genutzt wurde. Im Giebelgeschoss befanden sich weitere Räume die der Gemeinde und deren Mitglieder als Stauraum dienten und später zum Teil von einer christlichen Familie als Hausmeisterwohnung genutzt wurden.

Das jüdische Ritualbad


Das Ritualbad, hebräisch Mikwah genannt, gilt als wichtiger Bestandteil jeder jüdischen Gemeinde, dessen Gebrauch eng mit den Reinheitsgeboten der Thora verbunden ist. Das Wasser der Mikwah darf nicht geschöpft werden.

Das Gewässer sollte entweder ein fließendes sein, ein Bad in einem Fluss wäre dabei ausreichend, oder aber zumindest einen natürlichen Ursprung haben. Aufgrund der Tatsache, dass viele Ortschaften nicht direkt an einem Fluss liegen, behalf sich die Judenschaft indem sie künstliche Bäder anlegte. Im Biebesheimer Fall war das „Bad“ auf den Fußboden aufgesetzt und hatte Ähnlichkeit mit einem Sarg. Zum Ein- und Ausstieg diente eine Leiter. Das darin festgeschriebene dreimalige Untertauchen diente demnach zur Aufhebung von Unreinheiten, was sicherlich auch über das physische hinausgehen kann. Allerdings ist der Gebrauch der Mikwah als Ausdruck der persönlichen Frömmigkeit und Religiosität nicht mehr so weit verbreitet wie in früheren Zeiten. Hinzukommt, dass im ausgehenden 19. Jahrhundert vor allem die liberalen Juden, die etwa die Hälfte der jüdischen Gemeinde in Biebesheim ausmachten, zunehmend auf das Bad in der Mikwah verzichteten. Der „Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland (von) 1932-33“ führt für diese Zeit, im Gegensatz zu anderen umliegenden Gemeinden, für Biebesheim kein Ritualbad mehr auf. So kann man der Aussage des ehemaligen Hausmeisters der Synagoge Glauben schenken, dass das rituelle Bad zu seiner Zeit nicht mehr genutzt wurde.

Die beiden „Vorgänger-Synagogen“


Die „Älteste“ Synagoge


Über die erste Synagoge, die in der Zeit zwischen1720 und 1730 erbaut wurde, ist bis dato nur wenig bekannt. Ihre Erwähnung findet sich in der Chronik der evangelischen Kirchengemeinde. Dieser Eintrag ist auf den 22. August 1736 datiert und berichtet über die Aufrichtung einer „Schul.“


Faksimile eines Eintrags aus der Kirchenchronik.

Man kann davon ausgehen, dass von Beginn der Nutzung an die Stockstädter Juden zur Israelitischen Kultusgemeinde gehörten, nicht zuletzt um den Minjan, die im Judentum für den Gottesdienst nötige Anzahl von 10 Männern, zu erhalten. Diese Verbundenheit beider Gemeinden wird besonders in dem Dokument zur Nutzung der folgenden zweiten Synagoge deutlich.

Die „Alte“ Synagoge


Ende August 1818 kaufte der Biebesheimer Schutzjude Wolf Mainzer ein Haus, das „solange hier und in Stockstadt Judenschaft bestehe“ , als Synagoge dienen sollte. Der Text der Stiftungsurkunde für die zweite Synagoge sagt zwar nichts über deren genauen Standort, jedoch ließ sich die jüdische Gemeinde 45 Jahre später Zeichnungen für den Umbau bzw. Umänderungen der dazugehörigen Gebäude anfertigen. Diese wurden zwar in der vorliegenden Form nicht verwirklicht, aber aus ihnen geht der Standort der 3. Synagoge hervor. Klar wird dies vor allem im regen Schriftverkehr, der seit 1862 zwischen dem Vorstand der Israelitischen Gemeinde und dem Großherzoglichem Kreisamt in Groß-Gerau geführt wurde. Es ging um die Entscheidung zwischen einem Synagogenneubau einerseits und auf Vorschlag des Vorstandes um einen Ausbau der Scheune, in der sich bereits die Synagoge befand andererseits. Bis zu diesem Zeitpunkt befanden sich bereits ein Schulhaus mit Lehrerwohnung und ein baufälliges Bad in Biebesheim. Trotz der Genehmigung der Situations- und Ausbaupläne durch den Bürgermeister im Jahre 1863 ließ dieser Bedenken zu und äußerte den Wunsch, dass vorhandene Bauten abgerissen und ein Neubau nach genehmigten Plänen in der Ortsstraßenlinie erbaut würden. In seinem 1863 erstellten Gutachten schloss sich der damalige Kommunalbauaufseher der Meinung des Bürgermeisters an. Dies hatte zur Folge, dass ein Neubau am Straßenrand erstellt wurde. Heute geht man davon aus, dass die zweite Synagoge fast an derselben Stelle wie die folgende Dritte stand.


Die zum Geschäftshaus umgebaute Synagoge Ende der 80er Jahre.


Texte aus jüdisches Leben in Biebesheim Fotos Bildrachiv des Heimatmuseums Biebesheim am Rhein